Die TV-Werbung von Apple im Vorfeld des Marktstarts des Apple Macintosh während des Super Bowl XVIII der amerikanischen Football-Liga NFL am 2. Januar 1984 hat Medien- und Computergeschichte geschrieben. Der von Regisseur Ridley Scott produzierte Spot „1984“ für den ersten Apple Macintosh Werbung wurde zum besten Werbespot aller Zeiten (Advertising Age). gewählt.
Zu Beginn des dritten Quarter gelang den in Führung liegenden Los Angeles Raiders ein Touchdown gegen die Washington Redskins. Statt dass die Szene noch einmal in der Wiederholung gezeigt wurde, wurden die Fernsehbildschirme im ganzen Land zwei Sekunden lang schwarz. Dann tauchten beängstigende Schwarz-Weiß-Bilder von marschierenden Drohnen auf, begleitet von unheimlicher Musik.
Eine rebellische junge Frau im strahlend weißen Tank-Top, auf dem die Umrisse des Apple Macintosh zu sehen war, tritt in dieser spannungsgeladenen Situation als die Befreierin auf: Sie schleudert auf der Flucht vor der Orwell’schen Gedankenpolizei einen Vorschlaghammer gegen einen Großbildschirm, auf dem gerade eine Propagandarede des Big Brother läuft.
My friends, each of you is a single cell in the great body of the State. And today, that great body has purged itself of parasites. We have triumphed over the unprincipled dissemination of facts. The thugs and wreckers have been cast out. And the poisonous weeds of disinformation have been consigned to the dustbin of history. Let each and every cell rejoice! For today we celebrate the first, glorious anniversary of the Information Purification Directive! We have created, for the first time in all history, a garden of pure ideology, where each worker may bloom secure from the pests of contradictory and confusing truths. Our Unification of Thought is a more powerful weapon than any fleet or army on Earth! We are one people. With one will. One resolve. One cause. Our enemies shall talk themselves to death. And we will bury them with their own confusion! We shall prevail!“
Die Rede der Figur des „Big Brother“ in dem Werbespot „1984“ von Apple
Mehr als 96 Millionen Zuschauer sahen am 22. Januar 1984 den Werbespot, der mit nichts je Dagewesenem vergleichbar war. Als die Drohnen am Ende entsetzt zusehen, wie ihr Big Brother in Rauch aufging, verkündet eine ruhige Stimme: „Am 24. Januar wird Apple Computer den Macintosh vorstellen. Und Sie werden begreifen, warum 1984 nicht wie 1984 sein wird.“
Todd Leopold von CNN konnte sich 22 Jahre später noch genau die Ausstrahlung des Spots erinnern: „Das war eines dieser Ereignisse, zu denen man sich hingezogen fühlt, bevor man es überhaupt bemerkt“, schreib er 2006. „Nach und nach bemerkten wir eine dröhnende Stimme unter einem ausgegrauten Bild, einer attraktiven Läuferin in weißem Tank-Top und roten Shorts mit einem Vorschlaghammer, Reihen von kahlen, roboter-ähnlichen Männern, einen riesigen Fernsehbildschirm mit einem wütenden Mann.“ Leopold fragte sich damals: „Ist dies ein neuer Film von Orwells ‚1984‘? Aber was hat es mit der Läuferin auf sich?“
Niemals werde je ein Spot „1984“ in seiner Wirkung übertreffen, meinte Leopold: „Es war unerwartet, schockierend, einzigartig, unverwechselbar inmitten der üblichen Bier- und Auto-Anzeigen, die während des Super Bowl jener Tage in den Werbepausen erschienen. „
Obwohl der Spot rückblickend untrennbar mit der Premiere des Apple Macintosh im Jahr 1984 verbunden ist, bestand anfangs diese Verbindung gar nicht. Bereits Ende 1982 hatte die Apple-Werbeagentur Chiat/Day für das „Wall Street Journal“ eine Kampagne mit dem Apple II entwickelt, die George Orwells totalitäre Zukunftsvisionen in Gegensatz zur Apple-Philosophie stellen sollte.
„Sechs Monate bevor wir überhaupt vom Mac wussten, hatten wir diese neue Anzeige gestaltet, die lautete: „Warum 1984 nicht wie 1984 sein wird“, sagte Lee Clow, Creative Director bei Chiat/Day. „Die Anzeige erklärte die Philosophie und den Zweck von Apple: dass Menschen – und nicht nur Regierungen oder große Unternehmen – Technologie betreiben sollten. Wenn Computer nicht unser Leben übernehmen sollen, müssen sie zugänglich sein.“
Die Anzeige wurde nie gedruckt, sondern abgelegt, nur um im Frühjahr 1983 von Steve Hayden, dem Texter der Agentur, und Brent Thomas, dem Art Director, entstaubt zu werden. Sie suchten nach einem Aufhänger, um eine mutige Aussage über den unglaublichen neuen Macintosh zu machen. Mit umfangreichen Überarbeitungen hat das Chiat/Day-Team ein Storyboard für den 1984er Werbespot zusammengestellt, den sie für die Dreharbeiten vorschlugen.
Der erste Mini-Film zeigte die athletische junge Frau, die von behelmten Sturmtruppen verfolgt wurde, noch mit einem Baseballschläger. Dieser wurde später durch einen Vorschlaghammer ersetzt, mit dem die Heldin dramatisch den Bildschirm zerschmettern und damit für einen Lichtblitz und einen erfrischenden Strom frischer Luft sorgen würde.
Lee Clow, Kreativ-Chef der Agentur, beschreibt den Kontext des Spots so:
„Es beginnt an einem Ort, der die Zukunft repräsentiert, mit Menschen, die zu einem zentralen Saal marschieren. Unsere Idee war, dass der Big Brother die Kontrolle der Technologie durch wenige repräsentiert. Viele Leute meinte, dass mit dem Big Brother IBM gemeint ist – zum Teil wegen der bläuliche Farbgebung, aber auch wegen der Wettbewerbssituation, in der sich Apple sich befand. Das war wirklich nicht die Absicht. Aber wahrscheinlich hat es auch auf dieser Ebene funktioniert.“
Steve-Jobs-Biograf Walter Isaacson schreibt: „Das Konzept fing den revolutionären Geist des neuen Computerzeitalters ein. Besonders junge Leute aus der alternativen Szene hatten Computer lange als etwas betrachtet, das von autoritären Regierungen und Firmenimperien als Gleichschaltungsinstrument benutzt werden konnte. Seit Ende der siebziger Jahre sah man in ihnen allerdings auch ein Werkzeug zur individuellen Emanzipation. Der Werbespot erhob den Macintosh zum Kämpfer für die gute Sache – eine coole, rebellische Firma, die sich als Einzige dem großen, bösen Unternehmensimperium in den Weg stellte, das im Begriff war, die Herrschaft über die Welt zu übernehmen und die totale Gedankenkontrolle auszuüben.
Das gefiel Jobs. Damit konnte er sich identifizieren. Er sah sich selbst gern als Rebellen und vertrat nach außen hin die Werte, für die der wilde Haufen aus Hackern und »Piraten« stand, den er für das Mac-Team angeworben hatte. Über ihrem Gebäude flatterte die Piratenflagge. Auch wenn er die Kommune in Oregon verlassen und eine Firma gegründet hatte, wollte er immer noch lieber der Gegenkultur zugeordnet werden als dem Unternehmertum. (…) Mit Ridley Scott als Regisseur, der gerade mit Blade Runner einen Riesenerfolg gefeiert hatte, konnte Jobs das aufkommende Cyberpunk-Ethos für sich und seine Firma reklamieren. Dank dieses Werbespots ließ sich Apple mit den Rebellen und Hackern, den Andersdenkenden identifizieren – und Jobs gleich mit.“
Als die Agentur Chiat/Day Ridley Scott vorschlug, einen Spot für Apple zu drehen, dachte er, es ginge um die Beatles. „Sie sagten: ‚Nein, nein, nein. Apple ist dieser Typ namens Steve Jobs.‘ Ich sagte: ‚Wer zum Teufel ist Steve Jobs?‘ Sie sagten: ‚Es wird wahrscheinlich etwas (für Dich) sein.'“ Scott las das Drehbuch und dachte: „Mein Gott. Sie sagen nicht, was es ist, sie zeigen nicht, was es ist. Sie sagen nicht einmal, was es tut. Das war Werbung als Kunstform. Sie war verheerend effektiv.“
Für den Spot standen Mittel zur Verfügung, die damals nicht üblich waren. Regisseur Scott verfügte über ein Produktionsetat von 900.000 Dollar (Quelle: Owen Linzmayer, Apple Confidential 2.0, San Francisco, 2014, S. 110)
Allerdings fand sich in der Firmen-Führung von Apple kaum jemand, der die Begeisterung der Apple Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak für den teilen konnte. Erst in langen Gesprächen konnte Jobs den damaligen Apple-CEO John Sculley davon überzeugen, die Mittel für die Produktion freizugeben.
Der Spot wurde im September 1983 in den Londoner Shepperton Studios gedreht. Scott hatte eine Besetzung von 200 Personen für eine Woche verpflichtet. Um die Rolle der verzweifelten, glatzköpfigen Arbeiter zu spielen, rekrutierte er authentische britische Skinheads und bezahlte den Komparsen 125 Dollar pro Tag, um sich die Haare zu rasieren.
Eine geeignete Heldin zu finden, erwies sich als schwierigere Aufgabe. Viele der professionellen Modemodels und Schauspielerinnen hatten Schwierigkeiten, die geforderte Drehbewegung auszuführen, um den knapp drei Kilogramm schweren Vorschlaghammer präzise zu werfen, wie im Drehbuch gefordert. Beim Casting der Kandidatinnen im Hyde Park wäre laut Linzmayer fast eine ältere Dame getötet worden, als ein Wurf mächtig schief ging.
Wie der Zufall es wollte, war ein Model, die britische Sportlerin Anya Major, auch eine erfahrene Diskuswerferin. Sie wurde angeheuert, um die weibliche Hauptrolle zu spielen, weil sie gut aussah und in der Lage war, den Wurf fehlerfrei auszuführen,
Die Legende besagt, der Spot sei nur einmal während des Super Bowl XVIII ausgestrahlt worden. Das stimmt nicht ganz. Zuerst bekam das Sales-Team von Apple den Spot am 23. Oktober 1983 zu Gesicht. Laut Linzmayer brachen die rund 750 Apple-Verkäufer in Jubelstürme aus. Vor einem etwas größeren Publikum wurde der Spot am 31. Dezember 1983 in Twin Falls (US-Bundesstaat Idaho) während der letzten Werbepause vor Mitternacht von Tom Frank auf KMVT vor öffentlichem Publikum uraufgeführt. Die TV-Station KMVT wurde häufiger von Werbetreibenden für Testläufe verwendet.
Das Board of Directors von Apple konnte sich bei einem Treffen im Dezember allerdings gar nicht für den Spot begeistern. In dem Aufsichtsrat saßen damals Apple-Urgestein Mike Markkula, Teledyne-Gründer Henry E. Singleton, der Risikokapitalgeber Arthur Rock, Peter O. Crisp von Rockefeller’s Ventrock Associates und Philip S. Schlein, damaliger Chef der Kaufhauskette Macy’s California. Insbesondere Markkula und Schlein zeigten sich entsetzt. „Kein einziges Board-Mitglied mochte es“, erinnerte sich Sculley.
Lee Clow, der Kreativ-Chef der Werbeagentur Chiat/Day, erinnert sich daran, wie weit die Vorstellungen von Jobs und dem Aufsichtsrat auseinander lagen:
„Steve hatte mich vor eine große Herausforderung gestellt. Ich muss den Macintosh vorstellen. Es muss dramatisch werden. Es muss berühmt werden. Es muss anders sein. Wir hatten ein Meeting, bei dem wir eine ganze Reihe von Überlegungen präsentierten, die in die Einführung von Macintosh einflossen. Er dachte, es (der 1984-Spot) sei mutig, er dachte, es sei großartig. Es gab aber den Vorstand, der dachte, es sei wirklich dumm und unverantwortlich. Und es gab einen Moment, in dem das Board versuchte, den Stecker für alle Mittel zu ziehen und den Spot nicht laufen zu lassen.“
Zwar verlangte das Aufsichtsgremium nicht explizit, die Ausstrahlung zu unterbinden, doch Sculley interpretierte die entsetzte Reaktion des Boards als Stopp-Befehl: So forderte er die Werbeagentur Chiat/Day auf, den gebuchten Werbeplatz während des Super Bowl zurückzugeben.
Ursprünglich war geplant, die volle 60-Sekunden-Version und später eine gekürzte 30-Sekunden-Variante laufen zu lassen. Agentur-Chef Jay Chiat missachtete diese Anweisung allerdings und gab nur den 30-Sekunden-Werbeplatz zum Wiederverkauf frei.
Jobs sucht ein diesen Tagen den Schulterschluss mit Steve Wozniak, obwohl dieser Apple-intern der Fraktion angehörte, der dem neuen Apple Macintosh eher skeptisch gegenüber stand und forderte, dass die Firma das Brot-und-Butter-Geschäft mit dem von ihm entworfenen Apple II nicht vernachlässigen sollte. Jobs zeigte Woz den Spot auf einer Videokassette und erzählte ihm, dass der Aufsichtsrat ihn eigentlich nicht öffentlich zeigen wolle. Woz fragt, wie viel die Ausstrahlung während des Super Bowl kosten würde und erklärte sich dann bereit, die Hälfte der 800.000 Dollar aus eigener Tasche zu bezahlen, wenn Jobs die andere Hälfte übernehmen würde. Dazu sollte es aber nicht kommen. Die Apple-Manager William V. Campell (Vice President of Marketing) und E. Floyd Kvamme (Executive Vice President of Marketing and Sales) setzten sich über die Bedenken des Boards hinweg und gaben die Ausstrahlung im TV frei.
Am 22. Januar 1984 wurde „1984“ im dritten Viertel des Super Bowl XVIII ausgestrahlt und erreichte auf diesem Weg schätzungsweise 96 Millionen TV-Zuschauer. Danach griffen zahlreiche Fernsehstationen den außergewöhnlichen Spot auf. Allein in den USA wurde der Spot danach auf den drei nationalen TV-Senderketten sowie fast 50 lokalen TV-Stationen gezeigt, so dass sich Apple über kostenlose Werbung erfreuen konnte, die sonst Millionen gekostet hätte.
20 Jahre nach dem Super Bowl XVIII veröffentlichte Apple ein Remake des Werbespots, bei dem der jugendlichen Heldin ein iPod digital an den Hosenbund geheftet wurde.
Quellen:
Walter Isaacson. „Steve Jobs: Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers.“, C.Bertelsmann Verlag, München, 2011.
Owen Linzmayer. „Apple Confidential 2.0: The Definitive History of the World’s Most Colorful Company: The Real Story of Apple Computer, Inc. „, No Starch Press; San Francisco, 2004.
Ted Friedman. Apple’s “1984” – Electric DreamsChapter Five: Apple’s “1984”
Todd Leopold: Why 2006 isn’t like ‚1984‘
Curtsmedia: The 1984 Apple Commercial – The Making of a legend
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